Etwa 60 Schülerinnen und Schülern der S6 der Europäischen Schule München hatten in den vergangenen Monaten intensiv über vier Münchner Opfer des Nationalsozialismus recherchiert. Sie rekonstruierten die Lebensgeschichten von Chejne und Chaim Eingelster sowie Esther Lea und Jakob Paul Sondhelm. Die vier Münchner Jüdinnen und Juden lebten vor ihrer Deportation in der Fasangartenstraße 2 (heute Nummer 124). Am Mittwoch, den 11. Mai, erinnerte man an sie bei einer Gedenkveranstaltung in der ESM, bevor die vier Erinnerungszeichen an ihrem ehemaligen Wohnort der Öffentlichkeit übergeben wurden. Die städtische Initiative Erinnerungszeichen bringt Gedenktafeln oder -stelen an Orten an, an denen Menschen lebten, die zwischen 1933 und 1945 verfolgt und ermordet wurden.
ESM-Direktor Anton Hrovath eröffnete die Gedenkveranstaltung in der Europahalle und begrüßte die anwesenden Gäste. Für ihr Engagement bei dem Geschichtsunterrichtsprojekt dankte Stadtrat Sebastian Schall den Schülerinnen und Schülern dafür, dass sie den Namen der ermordeten Jüdinnen und Juden zumindest symbolisch einen Platz in der Stadt zurückgeben. Die Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, ließ ihr Grußwort krankheitsbedingt von der Direktorin des Helene-Habermann-Gymnasiums vorlesen. Sie brachte darin das Geschichtsprojekt auf den Punkt: „Erinnern braucht Erinnerer“ – und zwar ganz besonders aus der jüngeren Generation. Anschließend berichteten die Schülerinnen und Schüler der ESM von ihren Recherchen.
Sie stellten die Biografien von Chejne und Chaim Eingelster, Esther Lea und Jakob Paul Sondhelm kurz vor. Chaim und Chejne Eingelster lebten seit 1906 in München, seit 1912 in der Fasangartenstraße. Chejnes Tochter aus erster Ehe, Esther Lea Wainstein, heiratete im November 1939 Jakob Paul Sondhelm. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 nahm der Druck auf die jüdischen Familien nach und nach zu: Erst wurde ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft genommen, dann ihre Geschäfte, ein Tabakladen und eine Metallgroßhandlung, und schließlich nahm man ihnen das Leben. Esther Lea Sondhelm und ihr Mann Jakob Paul wurden am 13. Juli 1942 nach Ausschwitz deportiert und dort vermutlich unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet. Chejne und Chaim Eingelster verschleppte die Gestapo bereits am 4. April 1941 nach Piaski. Auch sie überlebten die Shoah nicht.
Diese und weitere Lebensstationen der Familien Eingelster und Sondheim recherchierten die S6-Klassen nicht auf Online-Geschichtsportalen und in diversen Archiven, unter anderem im Archiv des Deutschen Museums. Dort arbeitete Chaim Eingelster 27 Jahre lang als Kunst- und Schriftenmaler, bevor er aufgrund seines jüdischen Glaubens entlassen wurde. Bei der Recherche entdeckten die Schülerinnen und Schüler auch auf Dokumente, die belegen, dass Esther Lea und Jakob Paul Sondheim noch ihre Flucht vorbereitet hatten. Die Rechercheergebnisse bereiteten die Schülerinnen und Schüler auch für eine Ausstellung an der ESM auf. Doch es gibt Fragen, die eine Archivrecherche nicht befriedigend beantworten kann. Viele Fragen nach dem „Warum?“ mussten unbeantwortet bleiben.
Der Bezirksausschuss Ramersdorf-Perlach hatte die Erinnerungszeichen beantragt und somit das Schulprojekt initiiert. Ursula Meier-Credner, Beauftragte gegen Rechtsextremismus des Bezirksausschusses, erklärte in ihrer Rede, die Europäische Schule München habe sehr schnell auf ihre Kooperationsanfrage reagiert. Sie lobte die Beteiligten als „hochmotivierte und an der Vergangenheit interessierte Menschen“. Nach einem Ortswechsel zur Fasangartenstraße 124, dem ehemaligen Wohnort von Chejne und Chaim Eingelster, Esther Lea und Jakob Paul Sondhelm, sprachen Stadträtin Nimet Gökmenoglu, ESM-Schülerinnen und Schüler sowie die Vorsitzende des Bezirksausschuss Obergiesing-Fasangarten. Schließlich übergaben die Anwesenden gemeinsam die Erinnerungszeichen. Sie erinnern nun dauerhaft an die Namen und Leben von Esther Lea und Jakob Paul Sondhelm, Chejne und Chaim Eingelster.
Die Europäische Schule München dankt herzlich den beteiligten Schülerinnen und Schülern für ihr Engagement sowie den Lehrkräften Christine Riesenhuber und Pedro Jose Heradez Ruiz für die Leitung und kompetente Begleitung der Recherchen. Ihr Dank gilt auch den vielen weiteren Beteiligten, die dieses besondere Schulprojekt unterstützt und möglich gemacht haben, der Stadt München und Maximilian Strnad von der Koordinierungsstelle Erinnerungszeichen sowie den Projekt-Partnerinnen in den Bezirksausschüssen Ramersdorf-Perlach und Obergiesing-Fasangarten.
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