Besuch des Holocaust-Überlebenden Abba Naor

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„Das Leben ist eine feine Sache“, sagt Abba Naor am Ende seines Besuchs: „Das Gegenteil ist nicht so schön.“ Zuvor hatte er zwei Stunden lang Schülerinnen und Schülern der S7 seine Geschichte erzählt und Fragen beantwortet. Seine Geschichte beginnt 1928 in Litauen. Als die Deutschen 1941 einmarschieren, ist er erst 12 Jahre alt. Dass seine Familie fliehen muss, weil sie jüdisch ist, versteht er zunächst kaum. „Auf einmal war ich nicht mehr das Nachbarskind, das mit ihrem Sohn gespielt hat“, erklärt er zu einer Begegnung mit einer Nachbarin zu Beginn der deutschen Besatzung: „Auf einmal war ich ‚die Juden‘.“ 

Die gesamte Jahrgangsstufe der S7 an der Europäischen Schule München lauscht still seiner Erzählung. Eine Klasse folgt ihm direkt vor Ort, der Rest schaut aufgrund der Corona-Situation von den Klassenzimmern aus zu. Am Anfang erzählt Abba Naor noch aus der naiven Sicht eines Kinds, das die Vorgänge um ihn herum kaum einzuordnen wusste. Wie er eine gewisse Normalität im Ghetto Kaunas erlebte, weil er zur Schule gehen konnte – während die Insassen dort Hunger litten und regelmäßige Hinrichtungen stattfanden. Doch der Junge muss schnell erwachsen werden, wie auch sein jüngerer Bruder, der dank eines Verstecks am Kachelofen zunächst überleben kann. Kaunas wurde schließlich zum Konzentrationslager erklärt. Alte, Kranke und Kinder, alle, die nicht arbeiten konnten, wurden ermordet. Als die Nazis Kaunas im Juli 1944 auflösen, deportieren sie Naors Familie und die restlichen Insassen ins KZ Stutthof. Dort sieht Amos Naor seine Mutter und seinen kleinen Bruder zum letzten Mal. 

Schließlich landet er in einem Außenlager des KZ Dachau bei Kaufering. Hier werden die bis dahin überlebenden Juden von den Nazis dazu getrieben, sich zu Tode zu arbeiten. Naor erzählt mit ruhiger Stimme davon, wie die Häftlinge Kartoffeln von den Schweinen stehlen mussten, wie die Wärter sie quälten, wie sie zu jedem Appell die Toten aus den Barracken trugen. Immer wieder fragt er: “Kann sich das jemand vorstellen?” Immer wieder fällt auch der Satz: “Heute will niemand davon wissen.” Zumindest die Schülerinnen und Schüler wollen an diesem Tag davon wissen, alle hören gebannt zu. 

Wieder einmal hat Amos Naor Glück im Unglück. Er muss auf einer Lokomotive arbeiten, dort gibt es immerhin warmes Wasser. Auch den Todesmarsch nach Dachau überlebt er. Als er endlich von amerikanischen Soldaten befreit wird, ist er 17 Jahre alt, aber gefühlt ein alter Mann, wie er selbst erzählt. Er schafft es, seinen Vater in dem Chaos nach dem Krieg zu finden. Der Rest seiner Familie wurde ermordet. Von ursprünglich 60.000 jüdischen Kindern in Litauen überlebten die Shoah nur 350. Abba Naor war eines von ihnen. Den Schülerinnen und Schüler gibt er darum nicht nur Einblick in die Geschichte, er hat eine klare Botschaft an: Man muss immer Mensch bleiben, das Leben achten und das Beste daraus machen. 

Der Zeitzeugenbericht von Abba Naor blieb in der Exkursionswoche der Europäischen Schule München sicher die eindrücklichste Veranstaltung zu den Themen Holocaust und der Zeit des Nationalsozialismus, aber nicht die einzige. Die Lehrkräfte der ESM besuchtem mit insgesamt elf Klassen der Jahrgangsstufen S6 und S7 das NS-Dokumentationszentrum am Königspatz oder die KZ Gedenkstätte Dachau. 

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